Baco, Walter: Die Erhebung

Roman, Albatros 2001, Leinen geb. mit Schutzumschlag
ISBN 3-85219-017-7, ca. 320 Seiten. € 19.80  SFR 29,80

Dies ist der Roman, den Walter Baco als Stadtschreiber in Neumarkt am Wallersee geschrieben hat.

Der große Tag rückt immer näher: Ein kleiner Ort in der Nähe von Salzburg soll zur Stadt erhoben werden. Um dieses Ereignis zu dokumentieren, ernennt man einen Stadtschreiber; möglichst liebevoll soll er Land und Leute beschreiben. Dem literarischen Beobachter bietet sich das beschauliche Bild einer idyllischen Kleinstadt, das sich jedoch jäh ändert, als ein irrer Erpresser deren gesamte Einwohnerschaft bedroht. Ausgerechnet am Festtag will er zuschlagen. Der Stadtschreiber, immer mehr ins Geschehen verwickelt und als ein von außen Kommender selbst schon tatverdächtig, beginnt mit eigenen Erhebungen. In jedem Bürger sieht er nur noch einen potentiellen Täter, überall tauchen Verdächtige und Verdachtsmomente auf, und schon gibt es die ersten Toten: anfangs Unfälle, dann eine rätselhafte Selbstmordserie. Wo immer der Stadtschreiber ermittelt, entstehen Katastrophen. Ist etwa er der Auslöser all dieser Vorfälle? Mit Schrecken muß er erkennen, daß - wie durch eine geheime, magische Verschwörung - alles, was er denkt, Wirklichkeit wird. Was also darf er noch denken?

Ist etwa die ganze Stadterhebung ein gigantisches Ablenkungsmanöver? Was haben der geheime Regierungsbunker, die Nato-Luftwaffe und der Machtkampf in Jugoslawien mit dem Fall zu tun? Wer ist der Urheber der mysteriösen Erpresserbriefe? Steckt gar jene brutale Neonazi-Schläger-Truppe dahinter, die in der Nähe einer verfallenen Burg ihr Unwesen treibt? Wird es tatsächlich zu dem angedrohten Massensterben kommen? Oder bildet sich der Stadtschreiber alles nur ein? Was aber, wenn tatsächlich - am Höhepunkt des Festakts zur Stadterhebung – ein Bewohner nach dem anderen kurz zu zucken beginnt, die Augen verdreht und regungslos zu Boden sinkt? Kann er die Katastrophe noch verhindern? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt...

"Die Erhebung" spielt in und mit mehreren Realitätsebenen: Ein spannender, doppelbödiger Roman, der das Genre ‚Krimi‘ mit Wortwitz und hinterhältigem, absurden Humor parodiert, gleichzeitig aber auch eine ansprechende, melodische Prosa, die das reale (oder doch nur fiktive?) Geschehen zum Anlaß nimmt, sich auf eine rasant-behutsame Entdeckungsreise zwischen innen und außen, zwischen Wirklichkeit und Phantasie zu begeben.

Leseprobe

Allein die über dem Ortszentrum schwebende Geruchswolke übermittelte dem Näherkommenden unzweifelhaft die allgemein verständlichen begleitenden Grußbotschaften einer Großveranstaltung.

Goldgelb-bräunlich schimmernde Grillhühner stritten sich erbittert mit üppig im Fett gewälzten ommes Frites über die ungebrochene Vorherrschaft im olfaktorischen Reich, von der Konditorei zogen zartbittere Schwaden von Kaffee- und Sahneduft, fein durchsetzt vom Aroma einzelner Tortensorten, is hinüber zum Gasthof ,Krone', sicherten sich die sensorische Lufthoheit.

In der erbarmungslos allerlei molekulare Bestandteile offen legenden Mittagssonne konkurrierten in einem unentschieden hin- und herwogenden Wettstreit Pökelfleisch, Hammelbraten und Kebab-Ausdünstungen mit dem scharfen Flair, das die vereinigten Duftschwadronen der Moststände und Schnapsbuden aufboten. Ein mäßiger Wind begünstigte in dieser alles in allem fair geführten Auseinandersetzung je nach Laune die eine oder andere Seite,ergriff jedoch nie eindeutig Partei. Die geöffnete Tür vom blitzblau renovierten Gasthaus entließ, ohne draußen anzuklopfen, den Bier- und Rauchdunst vergangener Epochen, ganze Generationen von umnebelten, unaufhörlich schwatzenden Trunkenbolden meinte man darin zu erkennen.

Manch Mauerwerk verströmte noch den zarten Hauch der Jugend oder den der plastischen Chirurgie, feuchter Mörtel erzählte da und dort von einer mehr oder minder erfolgreichen kosmetischen Korrektur, während die frischen Holzbretter der eifrig fabrizierten Bühnenpodeste in leiser Anklage auf ihre Herkunft und frühere Heimat verwiesen.

Doch da griffen bereits wieder der Staubzucker vom Apfelstrudel, der Rum in den Punschkrapfen und die Vanillesauce, die den Topfenstrudel beinahe verlassen und sich über ihn hinausheben wollte, erfolgreich in das Wahrnehmungsgeschehen ein, und die aufrührerischen Brathühner bliesen mit der ihnen eigenen Note zur Gegenattacke.

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