Andrea Cagan
Frieden ist möglich
Prem Rawat - Sein Leben, sein Weg
Die amerikanische Bestseller-Autorin Andrea Cagan legt
die erste umfassende Biografie von Prem Rawat vor,
der Millionen Menschen in aller Welt zu innerem Frieden
inspiriert: die Kindheit in Indien, geprägt durch einen Vater,
der als spiritueller Lehrer hohes Ansehen genoss,
seine ersten öffentlichen Ansprachen im Alter von drei
Jahren, die Begegnung mit europäischen und amerikanischen
Hippies auf Indienreise, die ihn als kleinen Jungen in seinem
Heimatort am Fuße des Himalaja kennenlernten,
die aufsehenerregende Ankunft des Dreizehnjährigen
im Westen und sein weiteres Leben und Wirken bis
heute. Noch immer scheint seine Botschaft ein wohl
gehütetes Geheimnis zu sein, das sich hauptsächlich durch
Mundpropaganda verbreitet. Dieses Buch lüftet den Schleier
und stellt Prem Rawat vor – den Menschen, sein Leben,
seinen Weg.
ISBN 978-3-85219-031-0, ca. 400 Seiten
Roman,
Paperback, € 19,80 SFR 29,80
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Auszug aus einem Vortrag von Prem Rawat in Kula Lumpur, 2006
Auf Einladung der School of Political Studies der Malaysian
Chinese Association und der Universität Tunku Abdul Rahman
sprach Prem Rawat am 8. August als Gastredner auf einer
Veranstaltung mit dem Titel „Frieden ist möglich“ vor Mitgliedern
der chinesischen Gemeinschaft Malaysias. Nach der Eröffnung
durch den Gesundheitsminister, Datuk Dr. Chua Soi Lek, hielt
er die folgende Ansprache:
Sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren. Sie alle sind
hierhergekommen, um sich mit einem Thema zu beschäftigen,
das sowohl faszinierend als auch, meiner Meinung nach, schwer
fassbar ist.
Wir betrachten die Welt und sehen ihre Probleme. Es gibt
Gutes und es gibt Schlechtes. Natürlich will jeder sich des
Schlechten entledigen und das Gute behalten. Bestimmte Werte
sollen in der Gesellschaft schon vertreten sein.
Wir wollen, dass die Menschen freundlich zueinander sind.
Wir wollen, dass sie ein wenig Rücksicht aufeinander nehmen.
Zeitweise geschieht dies automatisch. Wenn wir zufrieden sind,
wenn wir gute Laune haben, sind wir auch freundlich. Dann
muss uns niemand dazu auffordern.
Wenn ich vor der Kinokasse in der Schlange stehe und jemand
vorgelassen werden möchte, dann habe ich kein Problem
damit, wenn ich gut gelaunt bin. Dann sage ich: „Nur zu.“
Wenn ich frustriert oder mit mir selbst uneins bin, dann sage
ich: „Nein! Nein!“ Genauso ist es auf der Autobahn oder bei
der Parkplatzsuche. Wenn es mir gut geht und jemand mich
überholen will, dann lasse ich ihn vorbei. Wenn ich frustriert
bin, drücke ich auf die Hupe und fahre noch dichter auf meinen
Vordermann auf.
Bestimmte Charakterzüge sind jedem Menschen in die Wiege
gelegt, als innerste Natur. Einige sagen vielleicht, dass es in der
Natur des Menschen liegt zu kämpfen, weil wir so viele Kriege
führen. Da bin ich anderer Meinung. Kein Soldat will in den
Krieg ziehen. Auf jeden Soldaten, der irgendwo im Einsatz ist,
wartet zu Hause eine Frau, die jeden Tag betet, dass er zurückkommt.
Oder ein Kind wartet auf seinen Vater, eine Familie
wartet auf einen Sohn, einen Bruder, einen Onkel. Doch diese
Familie zu Hause kann den Krieg nicht beenden. Sie kann
vielleicht nichts anderes tun, als für die sichere Rückkehr des
Soldaten zu beten.
In schweren Zeiten reichen wir anderen ohne zu zögern die
Hand, wenn wir innerlich zufrieden sind. Es geht nicht darum,
wie die Welt sich verhalten sollte, sondern darum, diese eine
grundlegende Sache zu kennen, die, wenn sie da ist, die innerste
Natur des Menschen ganz von selbst zum Vorschein bringt.
Was ist unsere Natur? Frieden ist kein Vorrecht irgendeiner
Religion. Frieden ist kein Vorrecht irgendeines Landes oder irgendeiner
Gesellschaft. Die Adresse des Friedens ist im Laufe
der Geschichte immer wieder genannt worden. Frieden wohnt
im Herzen der Menschen, in Ihnen und in mir.
Seit langer Zeit steht für die Menschheit fest, dass Frieden
wichtig ist. Die Formel lautete: Erst Frieden, dann Wohlstand.
Den Frieden haben wir vergessen, uns geht es nur noch um
Wohlstand. Aber ohne Frieden geht die Formel nicht auf. Wir sind
zum Mond geflogen, aber wir haben es nicht geschafft, Frieden
auf der Erde zu erreichen. Wir haben Massenvernichtungsmittel
entwickelt, haben ihre Entwicklung zu einer Kunstform erhoben,
die wir uns Milliarden Dollar kosten lassen. Doch wenn
es um den Frieden geht, begnügen wir uns mit beschwörenden
Worten: „Frieden. Frieden. Frieden.“ Wir müssen versuchen zu
verstehen, was Frieden ist und wo man ihn finden kann.
Herrscht Frieden, wenn Nachbarn zu streiten aufhören?
Dann bauen Sie ein Haus, wo es keine Nachbarn gibt. Wenn
eine Familie nicht untereinander streitet, ist das Frieden? Dann
haben wohl alle Junggesellen ein friedliches Leben. Ist Frieden
im Kloster? Auf einem Berggipfel? Auf dem Meeresgrund?
Nein. Frieden ist in jedem Menschen.
Menschen sind wie Lampen, die noch entzündet werden
müssen. Wenn Sie Weltfrieden wollen – er beginnt nicht bei
der Welt. Er beginnt bei jedem Einzelnen. Der Mensch braucht
Frieden – nicht die Krähen, nicht die Affen, nicht die Giraffen.
Wir sind diejenigen, die nach Frieden hungern. Wir sind diejenigen,
die Frieden in ihrem Leben brauchen.
Aber Frieden bleibt schwer fassbar. Warum können wir keinen
Frieden erlangen, indem wir weiterleben wie bisher? Wenn
Sie versuchen, ein Auto zu starten, und es springt nicht an – wie
lange würden Sie es versuchen? Einen Tag? Zwei Tage? Fünf
Tage? Die Batterie ist leer. Dieses Auto wird nicht anspringen.
Vielleicht hat es nicht einmal einen Motor. Würden Sie also
weiter sitzen bleiben und Ihr Glück versuchen?
Genau so handeln die Menschen – sie arbeiten an Formeln,
die schon seit Jahrtausenden nicht funktionieren. Immer wieder
denken wir: „Dies könnte die Lösung sein. Nein, das könnte
die Lösung sein.“ Aber nichts von alldem funktioniert. Die einzige
Lösung ist der Hinweis, den Sokrates vor langer Zeit gab:
Erkenne dich selbst. Suche die Antworten, die du brauchst, in
dir. Suche das, was dir fehlt, in deinem Inneren. Wenn Frieden
in deinem Leben fehlt, suche ihn nicht in der Ferne. Lass dich
nicht von dir selbst entfremden.
Die folgende kleine Geschichte mag ein Denkanstoß sein.
Eines Tages fand ein Schafhirte im Dschungel ein Löwenbaby,
das seine Mutter verloren hatte. Er nahm es mit nach Hause,
gab ihm Milch und brachte es zu seinen Schafen in den Stall.
Jeden Tag gingen die Schafe zum Grasen hinaus, und der
kleine Löwe schloss sich ihnen an. So wuchs er mit den Schafen
auf. Eines Tages kam ein großer Löwe aus dem Dschungel und
brüllte. Alle Schafe versteckten sich, und der kleine Löwe tat es
ihnen gleich.
Als der große Löwe sah, dass der kleine Löwe sich verstecken
wollte, ging er zu ihm und fragte ihn: „Was tust du da?“
„Ich verstecke mich.“
„Warum versteckst du dich?“
„Ich verstecke mich, weil ich nicht von dir gefressen werden
will.“
Der Löwe sagte: „Ich werde dich nicht fressen. Weißt du
denn nicht, wer du bist?“
„Nein, aber egal was du tust, friss mich nicht.“
Da sagte der Löwe: „Ich werde dich nicht fressen. Du hast
vergessen, wer du bist. Komm mit. Ich zeige es dir.“
Er führte ihn zu einer Wasserstelle und forderte ihn auf:
„Schau dir dein Spiegelbild an.“
Und als der kleine Löwe sein Spiegelbild erblickte, sagte er:
„Ich bin ja gar kein Schaf – ich bin wie du! Ich bin ein Löwe!“
Wir müssen in den Spiegel unseres Herzens blicken, um zu
sehen, wer wir wirklich sind. Da wir mit Schafen aufgewachsen
sind, halten wir uns ebenfalls für Schafe. Aber wir sind Löwen.
Wir denken, dass Frieden von irgendwo da draußen kommt.
Wir denken, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt.
Wir suchen nie in unserem eigenen Herzen, dort, wo der
Frieden Tag für Tag seinen Tanz vollführt.
Das sind wir. Das ist unsere wahre Natur. Bei allem, was
wir in unserem Leben tun, wie viel Zeit verbringen wir da
wirklich mit uns selbst? Wissen Sie, was als schlimmste Form
der Bestrafung gilt? Einzelhaft – wenn der Einzige, der einem
Gesellschaft leisten darf, man selber ist. So weit ist es gekommen.
Junge Leute sagen: „Jetzt ist nicht die richtige Zeit für mich,
nach Frieden zu suchen – dafür bin ich zu jung.“ Aber die Suche
nach Frieden ist keine Sache des Alters. Suchen Sie nach Frieden,
solange Sie leben. Lassen Sie Frieden in Ihrem Leben sein, weil
das für Sie das Wichtigste ist.
Vielleicht fragen Sie sich: „Wenn Frieden in mir liegt, wie gelange
ich dorthin?“ Zuerst müssen Sie wirklich verstehen, dass
er in Ihnen liegt. Akzeptieren Sie die Möglichkeit, dass Frieden
in Ihnen ist. Wenn wir weiter glauben, dass Frieden irgendwo
anders ist, werden wir ihn nie finden.
Wir lassen uns ablenken. So vieles beschäftigt uns. Doch der
Frieden, von dem ich spreche, ist so untrennbar mit uns verbunden,
dass er selbst mitten im Krieg erfahrbar ist. Es ist die
Freiheit, die ein Gefangener im Gefängnis fühlen kann. Diese
Freiheit kann Ihnen keiner nehmen. Sie hängt nur von Ihnen
ab, nicht von äußeren Umständen. Sie tragen diesen Frieden
in Ihrem Inneren, wohin Sie auch gehen, wie auch immer Ihre
Lebensumstände aussehen. Über diesen Frieden spreche ich,
den grundlegenden Frieden. Und diesen Frieden müssen Sie jeden
Tag fühlen.
Frieden fühlt man nicht nur einmal und sagt dann: „Gut,
das war’s.“ Frieden muss an jedem Tag gefühlt werden, wenn
möglich in jedem Augenblick. Und nur Sie können beurteilen,
ob Sie ihn fühlen. Kein anderer kann Ihnen sagen: „Jetzt haben
Sie Frieden; alles in Ordnung.“
Viele denken, dass man glücklich sein muss, wenn man gut
verdient, eine wunderbare Familie hat oder eine gute Arbeit mit
Aufstiegschancen. Aber das Glück, das jedem Menschen angeboren
ist, kennt weder Kaste noch Hautfarbe noch Armut oder
Reichtum. Der Arme kann glücklich sein und der Reiche kann
glücklich sein.
Auf meinen Reisen begegne ich vielen Menschen, die Glück
in ihrem Leben finden wollen. Ein Bauer hat mich einmal gefragt:
„Ich bin ungebildet und ich bin alt – meinen Sie, ich
kann glücklich sein?“ Einige Tage später stellte mir ein reicher
Unternehmer dieselbe Frage: „Meinen Sie, ich kann glücklich
sein?“ Er war jung, sehr gebildet und reich. Aber er stellte mir
dieselbe Frage.
Es gibt das Glücksgefühl, eine gute Familie zu haben, und
das Glücksgefühl, eine gute Arbeit zu haben. Aber es gibt noch
eine andere Art von Glück. Und von diesem Glück spreche ich.
Die Antwort, die ich beiden gab, lautete: „Ja, Sie können glücklich
sein, denn das Glück, das Sie suchen, der Frieden, den Sie
suchen, liegt in Ihnen selbst.“
Dies ist keine Fantasievorstellung. Es ist Realität. Sie sind
am Leben. Sie existieren, und Ihre Existenz ist das Wunder aller
Wunder. Drei große Dinge ereignen sich in Ihrem Leben:
Erstens: Sie werden geboren. Zweitens: Sie sind am Leben. Und
Sie wissen schon, was als Drittes kommt. Eins ist schon geschehen,
eins geschieht gerade, und eins wird geschehen – nicht
vielleicht, sondern ganz gewiss.
Es geht nicht um das, was geschehen ist – das ist vorbei. Und
es geht nicht um das, was geschehen wird – das kommt noch. Es
geht um das, was gerade geschieht. Und was gerade geschieht,
ist Ihr Leben. Das Potenzial, das das Leben in sich birgt, ist zu
jedem Zeitpunkt da. Schöpfen Sie es aus.
Manche möchten gern „bessere“ Menschen werden. Denen
sage ich: „Du brauchst nicht besser zu werden. Du bist schon
der Beste.“
Erkennen Sie, wer Sie sind. Verstehen Sie, dass Frieden möglich
ist und dass Frieden in Ihrem Inneren ist. Feiern Sie, dass
Sie am Leben sind. Warten Sie nicht auf Ihren Geburtstag.
Feiern Sie jeden Atemzug, der in Sie einströmt, an jedem Tag,
der Ihnen geschenkt wird. Finden Sie Frieden in Ihrem Leben.
Suchen Sie danach. Wo immer Sie ihn finden, gut. Wenn
Sie ihn nicht finden, kann ich helfen. Ich kenne eine Methode,
nach innen zu gehen. Oft werde ich gefragt: „Warum sagen Sie
uns nicht gleich, was es ist?“ Das tue ich auch, aber zuerst müssen
Sie diese beiden Erkenntnisse miteinander verbinden – erstens,
dass Frieden in Ihrem Inneren existiert, und zweitens, dass
Frieden möglich ist.
Ohne diese beiden Dinge zu wissen, werden Sie suchen und
suchen, ohne je fündig zu werden. Wenn Sie wissen, dass es
diese beiden Faktoren in Ihrem Leben gibt, können Sie mit der
Suche beginnen. Dann können Sie ernsthaft nach Frieden suchen.
Wohin Sie auch gehen, egal wie einsam Sie sind oder wie
viele Freunde Sie haben, Frieden ist immer in Ihrem Inneren.
Dort wohnt er. Wenn Sie kein Schaf mehr sein wollen, wenn
Sie Ihr wahres Gesicht sehen wollen, dann schauen Sie in den
Spiegel des Herzens, und Sie werden sehen, wer Sie wirklich
sind. Solange Sie Ihre wahre Natur nicht kennen, werden Sie
ein Fremder in Ihrem eigenen Leben sein.
Das Wichtigste ist, dass Sie am Leben sind. Damit werden Sie
Tag für Tag reich beschenkt. Verstehen Sie, was das bedeutet,
bevor es zu spät ist. Verstehen Sie, wie kostbar jeder Atemzug
ist. Dann werden Sie auf einmal etwas sehen, das Sie nie zuvor
gesehen haben. Sie werden etwas verstehen, was Sie nie
zuvor verstanden haben – über sich selbst. Sie werden keine
Fehler finden. In Ihrem Herzen ist eine Lampe. Entzünden Sie
die Lampe und vertreiben Sie die Dunkelheit.
Unwissenheit ist das größte Versäumnis der Menschheit.
Wir schützen gern Unwissenheit vor. Es gibt ein Sprichwort:
„Unwissenheit ist ein Segen.“ Dem ist ganz und gar nicht so.
Lassen Sie das Licht der Erkenntnis in Ihr Leben. Egal was es
erfordert. Das ist Ihr Potenzial. Nutzen Sie es. Sie sind über
alle Maßen beschenkt. Es ist Zeit, jedes einzelne Geschenk zu
entdecken, das Sie bekommen haben, damit Sie dankbar sein
können. Damit Sie erfüllt sein können.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen noch einen schönen
Abend.
[Vortrag in gekürzter und bearbeiteter Fassung]
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